Naginata: Die fehlverstandene Fechtkunst

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Die Naginata ist eine japanische Waffe, die der europäischen Glefe oder Kriegssense ähnelt. Im Grunde genommen ist es ein Schwert mit einem sehr langen Griff – die Gesamtlänge der Waffe liegt über 2 Meter. Als ich vor 14 Jahren das Naginatafechten übte hörte ich immer wieder: Diese Waffe ist natürlich eine Frauenwaffe und das Naginatafechten soll nur von Frauen eingeübt werden. Seitdem habe ich mir immer wieder die Frage gestellt woher diese Vorstellung kommt und welche Berechtigung das heute noch hat. Muss man(n) sich denn überhaupt deswegen rechtfertigen?

Ein kleiner Abriss der Geschichte der Naginata(fechtkunst) damals und heute mitsamt einigen Gedanken und Erfahrungen dazu.

Im Jahre 2002 hab ich zum ersten Mal von Naginata gehört und war sofort begeistert. Damals war ich gerade erst ins Kendô eingestiegen und habe meine Entdeckung mit anderen Kenshi und dem Trainer – einem überaus engagierten Mann – geteilt. Zu jener Zeit gab es in Deutschland noch kein einziges Dôjo für Naginata, keinen Verband. Nichts außer ein paar sehr obskuren „Meistern“ im Niemandsland der Provinz. Auch der Coach sagte mir damals sinngemäß „Das kannst du vergessen – das macht hier keiner und dafür gibt es auch nicht genug Leute, die sich dafür interessieren.“.

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Eine Naginata mit Schutzüberzug im Museum (ganz hinten). Davor: Klingenblatt einer Naginata, ungestielt. Im Laufe der Geschichte variierte die Länge der Waffe.

Dennoch ergab sich kurze Zeit später eine Gelegenheit für ein Naginata-Seminar in Middelburg in den Niederlanden beim Namikai-dojo. Es war ein relativ abenteuerliches Unterfangen, aber ich bin dem Coach bis heute dankbar, dass er mir und den anderen ermöglicht hat so Naginata kennenzulernen und erstmals zu üben. Erste Kyû-Prüfungen wurden am Ende des Wochenendes abgelegt und eine Trainingsgruppe in Mainz aufgebaut. Wir waren Pioniere. Aber auch das bekamen wir schon direkt mit auf den Weg: „Das trainieren ja eigentlich nur Frauen. Für MICH ist das was Anderes – Es ist ja ein Teil meines kulturellen Erbes als Japaner, das ich pflege und meinen Schülern beibringe. Aber ihr…?“. Ich fand das schon damals seltsam, denn die Namikai-Naginatagruppe war genau so heterogen mit Männern und Frauen versehen wie auch sonst eben Kendôgruppen, wo das Geschlecht völlig egal ist. Nichtmal im Traum würd ich es für möglich halten, dass da jemand Frauen im Kendô anspräche und ihnen sowas sagen würde.  Auch anderswo trainieren meines Wissens nach Männlein und Weiblein einfach gemeinsam Naginata. Mir hängt jedenfalls bis heute das Gefühl nach, dass einem Naginata immer gerne als Frauensport vorgehalten wird und man sich als Mann immer ein wenig dafür rechtfertigen oder erklären muss, selbst wenn das Gegenüber sonst überhaupt nix über den Sport oder die Waffe weiß. Vielleicht bild ich mir das auch nur ein.
Ob es Frauen im Rugby oder Fußball wohl auch so geht? „…du weißt aber schon, dass das eigentlich nur Männner machen oder?“

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Der Urknall für Naginata in Deutschland. Senseis, Seminarteilnehmer und Mitglieder von Namikai in Middelburg, 2002

Woher kommt das bloß?

Was man auch online immer wieder liest ist sowas wie „Das war traditionell immer die Waffe der Frauen der Samurai“ – das stimmt zwar auch, lässt aber einen ganz großen Teil der Geschichte direkt aus und versteift sich auf ein Klischee. Es trifft nicht die ganze Wahrheit, da die Naginata über Jahrhunderte hinweg von vielen verschiedenen Gruppen beiderlei Geschlechts verwendet wurde und eine Waffe wie jede andere war. Nicht zuletzt war die Naginata auch die Waffe der Kriegermönche, die es lange Zeit in Japan gab.

Man sagt bereits in der Nara-Zeit um 711 herum sei dieNaginata eingesetzt worden – konservativere Einschätzungen gehen von der Heian-Zeit ab 1146 herum aus (erste explizite Erwähnung von Naginata) und die älteste erhaltene Waffe stammt aus der Kamakura-Zeit, etwa zu Mitte/Ende des 13. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit war die Naginata eine Waffe von vielen, die von den Samurai, Kriegern, Fußsoldaten und Kriegermönchen zur Kriegführung verwendet wurde und speziell gegen Kavallerie eingesetzt wurde. Die Naginata wird u.a. als eine primäre Waffe der Samurai vor 1543 identifiziert, gemeinsam mit dem Bogen und noch vor dem Katana als dritte Waffe. Erst um 1543 herum, als sich die Kriegführung durch u.a. Schusswaffen änderte, verlor die Naginata nach und nach an Bedeutung und verschwand aus den Armeen. Ab 1603 begann eine lange Friedenszeit ohne größere Kriege, die bis 1868 andauern sollte. Samurai wurden zu waffentragenden Bürokraten. Da die Naginata in der eigentlichen Kriegführung nach Stand der Technik unbedeutend war, praktizierten die Samurai diese nicht mehr sondern widmeten sich in ihren Studien den anderen Waffen zu. Die Naginata wurde von der militärischen zur zivilen Waffe.

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Der Kriegermönch Yokogawa Kakuhan im Kampf gegen einen Gefolgsmann des Minamoto Yoshitsune im 12. Jahrhundert

Wir wissen, dass die Frauen von Samurai ebenfalls den Einsatz von Waffen übten und ich las erst kürzlich, dass Frauen von Samurai vor der Tokugawa-Zeit (1603-1868) und im Boshinkrieg womöglich viel öfter und viel mehr in Kämpfen beteiligt waren als bisher allgemein angenommen wurde. Als besonders geeignet als Waffe für Frauen galt aber auch vorher schon die Naginata. Die Waffe bietet eine große Reichweite und Flexibilität, ermöglichst so das Neutralisieren etwaiger vorhandener körperlicher Nachteile in Kraft und Körpergröße, so der Gedanke. Die Naginata war wohl nicht die einzige Waffe, mit denen die Frauen trainierten, aber wohl die ikonischste und beliebteste, denn im Laufe der beinah 300 Jahre des Tokugawa-Shogunates wurde die Naginata zu so etwas wie dem Sinnbild der Waffe der Samuraifrauen – also so wie das Katana als die Waffe der Samurai gilt. Mindestens genau so ikonisch ist die Naginata aber auch heute noch als Waffe der Kriegermönche, die noch bis weit in das 16. Jahrhundert hinein regelmäßig Kyôto verwüsteten. Oda Nobunaga und Toyotomi Hideyoshi zerschlugen diese Kriegermönchsorden bis 1600 in zahlreichen Feldzügen.

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Das typische Bild, das mit Naginata verbunden ist: Die wehrhafte Samuraifrau, die das Haus, den Hof und ihre Ehre schützt.

Die wirkliche Verknüpfung als Frauensport rührt meiner Meinung nach aber wohl aus der Meijizeit (1868-1912) her. Das Land wurde teils nach dem zentralstaatlichen Ideal der Heianzeit, teils nach westlichem Vorbild massiv umgebaut und umstrukturiert. Westliche Werte spielten bei der Modernisierung eine große Rolle und damals war auch im Westen ziemlich klar, dass sich für Frauen eben nur bestimmte Sportarten geziemen und alle anderen halt nicht weiblich genug sind. Ähnlich wie in Europa blickte auch in Japan das Bürgertum zum Adel als gesellschaftliches Vorbild auf, was u.a. zur Folge hatte, dass zwischen 1868 und 1945 Kampfkünste im Curriculum der Schulen aufgenommen wurden und  wahrscheinlich auch um japanische Werte zu vermitteln o.ä.. Und zwar nach dem Muster Jungs machen Kendô, Mädchen Naginata. Ich denke dass halt vor allem auch aus dieser Zeit her vieles von heutigen Verständnis von Naginata als „Frauensport“ oder Frauenwaffe kommt oder zementiert wurde. Zu dieser Zeit war Naginata übrigens auch der einzige Kampfsport, der Mädchen und Frauen überhaupt erlaubt war. Hätte es nicht die Tradition aus dem Schwertadel gegeben wäre Frauen vermutlich der Zugang zum Kampfsport ganz verwehrt geblieben – und wir hätten heute keine Überlieferung des Sports mehr.

…und heute?

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Weniger typisch? Der Krieger Hata Rokurozaemon mit Hund und Naginata.

Nach 1945 wurde der Kampfsport in Japan durch die Amerikaner generell verboten. 1953 wurden teilweise entschärfte Fassungen wieder zugelassen. Kendô soll in dieser Zeit etwa starke Änderungen weg vom Kämpferischen und hin zum Sportlichen durchlebt haben. Ich weiß nicht inwiefern das auch auf Naginata und andere Kampfsportarten zutrifft, aber in jedem Fall wurde 1955 die All Japan Naginata Federation AJNF gegründet. Erst 1990 kam es zur Gründung der Internationalen Naginataförderation INF und der deutsche Landesverband DNagB wurde sogar erst 2003 ins Leben gerufen. Naginata als Waffe und als Disziplin hat eine lange Geschichte hinter sich und ichhoffe, dass es verständlicher geworden ist, warum ich es als falsch empfinde wenn man all das alles so stark verkürzt und dann sagt „…du weißt aber schon, dass das eigentlich nur Frauen machen oder?“.

Wenn ich mir anschaue, wer Naginata als Sport praktiziert und wie der Sport auch offiziell beschrieben wird, dann habe ich das Gefühl dass man sich international schon längst von der alten Vorstellung des Frauensports verabschiedet hat und sich weiter zu einem Naginatafechten, das allen offensteht entwickelt hat. Gerade in den Dojos außerhalb Japans sieht man eine imo erfreuliche Mischung an Männern und Frauen. „Naginata can be practised by men and women throughout their lifetime“, schreibt auch der Autor des Sports V Course Naginata – einem Lehrbuch der All Japan Naginata Federation. Und genau so seh ich das auch.

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Auf diesem Bild aus dem 16. Jhd. ist eine Szene aus dem 12. Jhd dargestellt. Zu sehen sind sowohl eine gerüstete Frau mit Naginata (links) als auch ein Mann, der mit Naginata zum Angriff stürmt (rechts).

Es ist das Führen von einer Langwaffe in sportlichen Zweikämpfen, das hier vermittelt wird. Muss ich mich als Mann rechtfertigen und erklären wenn ich Naginata praktiziere? .
Ich sag ganz klar: Nein. Genau so wenig, wie sich Frauen dafür rechtfertigen müssen sollten, dass sie Fußball oder Rugby spielen.

Im Übrigen gib es auch in Japan Männer, die Naginata trainieren und sogar an den Meisterschaften teilnehmen.

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